So eine lange gemeinsame Reise erfordert natürlich auch den einen oder anderen Kompromiss. Zum Glück können Stephan und ich sehr gut Zeit mit, aber auch genauso gut ohne einander verbringen.
Reiseziele werden in der Regel gemeinsam ausgehandelt und so haben wir mehr Zeit, als Stephan lieb ist, in Städten verbracht und mehr Zeit als mir lieb ist an Orten, an denen wir unser Zimmer mit Ameisen, Moskitos und Spinnen teilen mussten.
Einer dieser Kompromisse war der Taman Negara Nationalpark in der Mitte von Malaysia. Die beste Unterkunft in der Gegend hat bei Booking.com eine durchschnittliche Bewertung von 7,4 und Stephan weist mich im Vorfeld darauf hin, dass zum Tragen von zwei Paar in Deet getränkte lange Tennissocken geraten wird, um Blutegel bei der unvermeidlichen Durchquerung von feuchtem Unterholz zu vermeiden. Zum Ausgleich und vielleicht auch als Bestechung, da bin ich mir nicht ganz sicher, schlägt er davor 5 Tage in einem absoluten Luxushotel am paradiesischen Strand von Perhentian Kecil vor.
Auf meiner Liege unter dem Palmendach der BuBu Villas, mit einer malaysischen Modezeitschrift und einem Drink in der Hand, bin ich zunächst noch optimistisch, aber je näher die Abreise rückt, desto mehr schaue ich den drei Tagen im Dschungel mit einem mulmigen Gefühl entgegen.
Der Fahrer des Minivans, der uns zum Taman Negara bringt, fährt wie ein Henker, doppelt so schnell wie erlaubt, ohne Mindestabstand und mit einer Hand am Handy. Ich schwanke zwischen ins Lenkrad Greifen und Aussteigen, und mache drei Kreuze, als wir auf halber Strecke halten, um in einen anderen Minivan umzusteigen. Vor der Straße, die in den Nationalpark führt, gibt es einen weiteren Halt. Die Reiseagentur, die hier sehr clever einen Zwangsstop für die Minibusse anberaumt hat, „berät“ alle Durchreisenden in Bezug auf ihre Touroptionen. Obwohl wir schon alle Touren über das Hotel gebucht haben, werden wir auch beraten, und ich nutze die Gelegenheit, um nach den Blutegeln zu fragen.
Nein, nein, da sind jetzt keine, sagt die gute Frau, und meine Gesichtszüge entspannen sich, aber… sie pausiert für einen kurzen Moment und ich halte den Atem an… die kommen immer dann raus, wenn es regnet. Die letzten drei Tage war es trocken. Aber heute Abend soll es regnen, das heißt, morgen müsst ihr im Dschungel aufpassen und euch von Kopf bis Fuß mit Insektenspray einsprühen, dann seid ihr einigermaßen sicher. Ich warte kurz ab, ob sie jetzt vielleicht in schallendes Gelächter ausbricht, weil sie mich so wunderbar verarscht hat, aber nein. Kein Gelächter. Tiefster Ernst.
Wir fahren weiter bis in den Ort vor dem Eingang zum Nationalpark und setzen mit einem Miniboot über. Zu meiner großen Freude gesellt sich ein holländisches Pärchen zu uns. Er ein Surferboy, sie von Kopf bis Fuß in Pink und goldenen Sandalen. So schlimm kann es nicht werden, sage ich mir, ich bin offensichtlich in guter Gesellschaft. Wie so oft im Leben trügt der Schein. Die blonde Schönheit in Pink erkundigt sich zunächst einmal nach dem Hardcoretrek mit Übernachtung in irgendeiner Höhle, während mir schon beim Gedanken an den einstündigen Nachtspaziergang der Angstschweiß kalt den Rücken runter läuft.
Zu Recht, wie sich zwei Stunden später heraus stellt. Wir starten relativ harmlos auf dem gepflasterten Weg durch das Resort und biegen dann links auf einen Holzpfad durch den nachtschwarzen Dschungel ab. Ich bin von Kopf bis Fuß eingemummelt und mit Insektenspray eingesprüht. Zum ersten Mal in den ganzen 6 Monaten trage ich eine Hose, die ich ausschließlich für diesen Zweck um die halbe Welt geschleppt habe. Die Hosenbeine stecken in den Socken. In der Hand halte ich eine kleine Taschenlampe, die wir kurz vorher im Hotelminishop gekauft haben.
Nach wenigen Minuten hält unser Guide an und sagt, dass wir heute Abend keine großen Tiere sehen werden, obwohl es hier malaysische Tiger, Pumas und Elefanten gibt. Dann zeigt er uns total stolz eine Spinne. Nicht irgendeine Spinne sondern eine giftige, springende Spinne. Stephan geht erst mal näher ran, um ein gutes Foto machen zu können. Ich überlege, ob ich in Tränen ausbrechen und / oder alleine zurück laufen soll. Natürlich tue ich nichts davon, sondern beiße die Zähne zusammen und gehe weiter. Wir sehen Riesenameisen (gute 3 cm lang), deren Biss unglaublich schmerzhaft sein soll, diverse Heuschrecken, Fledermäuse und – mein persönliches Highlight – Skorpione. Dafür kriecht unser Guide extra ins Unterholz und leuchtet sie mit einer UV Lampe an. Nicht tödlich, erklärt er mit einem Lächeln auf Lippen, aber ins Krankenhaus müsse man nach einem Stich schon.
Irgendwann ist es vorbei. Ich bedanke mich artig und frage mich ernsthaft, wie ich die nächsten drei Tage überstehen soll. Dann nehme ich mir vor, niemals wieder Urlaub im Dschungel zu machen. So groß, das muss jetzt mal gesagt werden, ist meine Kompromissbereitschaft dann doch nicht.
Ach ja, sagt der Guide zum Abschied, bevor ihr heute Abend ins Bett geht, untersucht euren ganzen Körper bitte unbedingt auf Blutegel…
In der Ferne zieht ein Gewitter auf. Wenn Engel reisen…