Der Mann meiner Wahl, das wissen alle, die ihn kennen, ist einer der nettesten Menschen, die es gibt. Er ist fast immer gut drauf, geht einem Streit lieber aus dem Weg und in brenzligen Situationen ist er eine Bank. Ich glaube, das liegt daran, dass er so groß ist und immer schon so groß war. Er muss sich und anderen einfach nichts beweisen.
Unsere Abreise aus Nicaragua startet morgens um 6 Uhr. Ein Taxifahrer bringt uns zum Tica Bus. Wir sind eine Stunde zu früh, der Bus kommt eine Stunde zu spät. Wir brauchen zur Ausreise das ausgefüllte Ausreiseformular und zur Einreise in Costa Rica unseren Pass, ein ausgefülltes Einreiseformular, den QR Code zu unserem ausgefüllten „Gesundheitszeugnis“ und ein Ausreiseticket.
Das costaricanische Gesundheitszeugnis hatten wir bereits für die Einreise aus Panama ausgefüllt. Stephan hatte mir stolz erzählt, dass er heraus gefunden hat, dass man es mit der eigenen Emailadresse erneut abrufen und aktualisieren kann.
Den Abend vor der Abreise haben wir mit einem Paar aus Holland an der Bar (s. o.) verbracht und uns über Gott, die Welt und Mathematik unterhalten. Ein feuchtfröhlicher Abend. Am nächsten Morgen ging es um 6 Uhr los.
Ich hatte nach dem Packen (das bei mir immer ein bisschen länger dauert) drei Mal probiert, mein altes Gesundheitszeugnis zu aktualisieren, es funktionierte nicht. Das Datum blieb das alte. Stephan schlief schon, also hab ich nachts um 2 Uhr die drei Seiten nochmal ausgefüllt, meinen Pass und meine Impfzertifikate hochgeladen und den QR Code abgerufen.
Die Ausreise aus Nicaragua ist genauso wie Einreise. Kompliziert. In der Schlange vor der Einreise nach Costa Rica haben wir viel Zeit. Stundenlang Zeit. Wir überlegen, was wir in San José noch erledigen wollen und ob wir alles haben für die Einreise.
- Pass: check.
- Flugticket nach Quito: check.
- Einreiseformular: check.
- QR Code zum Gesundheitszeugnis: check.
Wie hast du das gemacht, bei mir hat die App das Datum nicht aktualisiert, frage ich Stephan. Ach, sagt er, das ging bei mir auch nicht. Ich starre ihn an. Und jetzt? Du kommst ohne QR nicht über die Grenze. Willst du das nicht jetzt eben noch machen?
Ach was, lächelt er mich an, ich habe das zwei Mal probiert und es funktionierte nicht und dann hatte ich gestern Abend echt keinen Bock mehr. Das ist ja schließlich deren Schuld, wenn sie eine Aktualisierung anbieten, die dann nicht funktioniert. Ich habe mir überlegt, ich erkläre dem das, wird schon klappen.
Was soll ich sagen. Es klappte natürlich nicht. Stephans Erklärungen erst auf Englisch dann in feinstem Spanisch (da hat sich die Sprachschule mal so richtig gelohnt) wurden mit einem eisigen Blick quittiert. Es hilft nichts. Raus aus der Schlange, in die Ecke setzen, Formular ausfüllen, Bestätigung und QR Code abwarten, dann wieder kommen. Es dauert ewig.
Wir waren sowieso schon fast die letzten aus unserem Bus in der Schlange. Als wir endlich durch die Grenzkontrolle durch sind, ist unser Bus weg. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Bis nach San José sind es von hier aus gut 7 Stunden. Was für eine Scheiße.
An der Grenze gibt es ein Tica Bus Büro. Wir erklären unser Problem und werden auf Spanisch angeschrien: Wo wir denn waren? (Da macht sich der Spanischkurs zum zweiten Mal bezahlt, vor allem die Vergangenheitsformen!!!).
Na bei der Grenzkontrolle, wo sonst! Details lassen wir natürlich weg.
Die Dame schreit weiter, greift zum Handy, schreit noch lauter. Der Bus ist ohne uns abgefahren, weil er uns nicht finden konnte, meinen wir dem Geschrei zu entnehmen. Irgendwann schreit sie „Taxi“ und schubst uns in ein Auto. Wir rasen über die Autobahn und kommen 10 Minuten später mit quietschenden Reifen hinter dem am Randstreifen auf uns wartenden Bus zum Stehen.
Der Busfahrer guckt uns böse an. Er hätte eine halbe Stunde gewartet und uns überall gesucht. Wir erklären, dass man uns nicht rein lassen wollte und lassen wiederum die Details weg. Die anderen Passagiere hassen uns.
Der Mann an meiner Seite lächelt und steigt in aller Seelenruhe in den Bus. Ist doch alles gut gegangen. Sollen die halt ihre Scheißapp besser programmieren…
Denn bei aller Nettigkeit, auch das wissen alle, die ihn kennen, ist dieser Mann in seinem tiefsten Inneren eben doch ein Rebell.